Zeugnissprache (2024)

"Heimtückische Komplimente im Arbeitszeugnis sind bei der Jobsuchedie Pest. Wie gut kennen Sie sich aus im Gestrüpp mehrdeutigerFormulierungen, verschlüsselter Botschaften und geschickt getarnterLeerstellen? Wissen Sie, wofür die Floskel von der "Trennung ingegenseitigem Einvernehmen" steht und was die Aussage "Er zeigte eingesundes Selbstvertrauen" tatsächlich bedeutet?"Viel wurde über den Geheimcode gerätselt und geschrieben- er existiert nicht im Sinne einer "geheimen Vereinbarung" unterArbeitgebern. Aber es hat sich eine bestimmte Zeugnissprache etabliert,die teilweise deutlich vom allgemeinen Sprachgebrauch abweicht und daherschwer verständlich, mitunter sogar irreführend ist.Bei allen Formulierungen gilt: Sie sind im sprachlichen Kontext zubetrachten. So isoliert, wie wir Ihnen die Sätze hier vorgestellthaben, steht keine dieser Aussagen in einem Arbeitszeugnis.

Nachtrag vom 1. September, 2014 :Im Im Tagi werden das Arbeitszeugnis behandelt: ein Aussschnitt:

Positiv formulierte negative Qualifikationen nennt man Codierungen. "Siesind verboten, weil sie gegen den Grundsatz der Zeugnisklarheit und gegendas Datenschutzrecht verstossen", sagt der Arbeitsrechtsspezialist Adrianvon Kaenel. "Arbeitnehmer haben das Recht, solche zweideutigen Sätzedurch unverdächtigere ersetzen zu lassen."Dennoch gibt es nach wie vor viele Vorgesetzte, die ihre Mitarbeitendencodiert beurteilen - teilweise auch unwissentlich, weil sie sich zu wenigauskennen oder weil sie alte Vorlagen unbesehen übernehmen. Sieschreiben dann: "Er erledigte alle ihm zugewiesenen Arbeiten zu unsererZufriedenheit" - und sagen damit: "Er war ein Minimalist, der nur dieAufgaben erledigte, die man ihm auftrug." So kann ein gut gemeintesWort dem Angestellten schnell zum Verhängnis werden. Immer mehrFirmen beugen Missverständnissen daher mit einem Hinweis in ihrenZeugnissen vor, etwa wie: "Unser Unternehmen bekennt sich zu uncodiertenFormulierungen."Auch die Worte "zufrieden" oder "Zufriedenheit" bergen Zündstoff. Esgibt kaum ein Arbeitszeugnis, in dem sie nicht vorkommen. Bloss:Das allein genügt nicht für ein gutes Zeugnis - auf diegesamte Formulierung kommt es an. Während die Aussage "Wirwaren mit seiner Arbeit zufrieden" gerade mal der Note "genügend"entspricht, bescheinigt die Wendung "zu unserer vollsten Zufriedenheit"eine Topleistung. Diese verbreitete Formulierung ist allerdingssprachlicher Unsinn (voller als voll geht nicht) und vor Gerichtnicht durchsetzbar. Moderne Chefs umschreiben die Höchstnote so:"Seine/Ihre Arbeitsleistung war in qualitativer und quantitativer Hinsichtjederzeit sehr gut."Wer der Ansicht ist, gute Arbeit geleistet zu haben, wer sich freundlichverhalten und selber gekündigt hat, sollte darauf achten, dassmindestens Folgendes im Zeugnis steht: Zur Leistung: "Er/Sie erledigte die Aufgaben zu unserer vollen Zufriedenheit" oder "Ihre Leistungen waren überdurchschnittlich" oder "Sie arbeitete stets gut". Alle Warnlampen sollten dagegen blinken, wenn es im Zeugnis heisst, die Mitarbeiterin habe sich "bemüht" oder "ihr Bestes gegeben". Im Klartext bedeutet das: "Sie strengte sich zwar an, aber es kam wenig dabei heraus." - "Arbeitsgerichte beurteilen solche Formulierungen als unzulässig, weil sie nicht die Leistung betreffen, sondern den Leistungswillen", sagt Rechtsanwalt Adrian von Kaenel. Zum Verhalten: "Im Umgang mit Vorgesetzten, Mitarbeitern und Kunden war er/sie stets freundlich und korrekt." Fügt der Chef einen zusätzlichen Ausdruck hinzu - etwa "zuvorkommend" -, ist das Zeugnis in diesem Punkt ausgezeichnet. Begnügt er sich mit "korrekt", deutet das auf einen eher unangenehmen Zeitgenossen hin. Zum Austrittsgrund: "Der Austritt erfolgt auf eigenen Wunsch. Wir bedauern seinen/ihren Weggang." Fehlt der zweite Satz, ist anzunehmen, dass der Angestellte keine besonders grosse Lücke hinterlässt. Eine sehr gute Note erhält hingegen, wer vom Arbeitgeber "jederzeit wieder eingestellt" würde. Wenn es heisst, der Austritt erfolge "im gegenseitigen Einvernehmen", wurde der Mitarbeiter wahrscheinlich entlassen. Ebenso, wenn Angaben zum Austrittsgrund fehlen. Gegen den Willen des Angestellten darf der Arbeitgeber den Grund im Zeugnis nicht nennen.Grundsätzlich gilt: Arbeitszeugnisse sind wohlwollend zu formulieren.Das bedeutet nicht, dass Angestellte Anspruch auf ein "gutes" Zeugnishätten. Denn ein Zeugnis muss vor allem wahr sein. Adrian von Kaenelbeobachtet mit Sorge, "dass regelmässig zu gute Zeugnisse ausgestelltwerden, weil Arbeitgeber einem Streit aus dem Weg gehen wollen, derihnen nichts bringt und höchstens Kosten verursacht. Damit werdenArbeitszeugnisse ihrer Aufgabe als zuverlässiger Gradmesser fürdie Fähigkeiten von Stellenbewerbern zusehends nicht mehr gerecht."Negative Äusserungen in Zeugnissen sind erlaubt, sofernsie für die Leistung oder das Verhalten eines Arbeitnehmersbezeichnend sind. So ist zu erwähnen, wenn einer mehrmals Weisungenmissachtet, Mitarbeiterinnen belästigt oder im Betrieb gestohlenhat. Desgleichen, wenn er an einer Krankheit oder an einer Sucht leidet,die seine Leistung erheblich beeinträchtigt.Weist ein Bauunternehmen beispielsweise nicht darauf hin, dass einArbeiter seinen Job wegen Rückenbeschwerden nicht mehr richtigausüben kann, so wird es haftbar, wenn eine andere Firma denArbeiter im Vertrauen auf das Zeugnis einstellt. Das ZürcherArbeitsgericht erachtete im Jahr 2003 auch den Hinweis als zulässig,ein Krankenpfleger sei "manisch depressiv".Nicht ins Arbeitszeugnis gehören unvorteilhafte Episoden wie kleineStreitigkeiten, seltenes Zuspätkommen oder einzelne schlechteArbeitsleistungen. Auch vergangene gesundheitliche Probleme, die sichnicht dauerhaft auf die Leistung auswirken, haben im Zeugnis nichts zusuchen. Das Zürcher Arbeitsgericht wies deshalb 2005 eine Firmaan, ein Zeugnis zu ändern, in dem stand, der Arbeitnehmer sei imLaufe der 25 Monate dauernden Anstellung während insgesamt 6 Monatenarbeitsunfähig gewesen. Sonst bestehe die Gefahr, dass künftigeArbeitgeber die krankheitsbedingten Absenzen als Hinweis interpretierten,der Angestellte sei zu wenig leistungsbereit oder leistungsfähig.Ein Betrieb, der ungerechtfertigt ein schlechtes Zeugnis ausstellt,kann schadenersatzpflichtig werden, wenn der Mitarbeiter deswegen keineneue Stelle findet. Das gilt auch, wenn das rechtzeitige Ausstellendes Zeugnisses versäumt wird. Immer wieder kommt es vor, dassFirmen die Abgabe des Zeugnisses hinausschieben, weil der Angestelltedie Kündigung als missbräuchlich angefochten hat. Laut Adrianvon Kaenel ist dies unzulässig.Denn so viel ist klar: Arbeitnehmer haben laut Gesetz "jederzeit"und ohne Grund das Recht, ein Zeugnis zu verlangen. Das gilt nicht nurbeim Austritt, sondern auch während des Arbeitsverhältnisses(Zwischenzeugnis). Wann der Anspruch verjährt, ist umstritten.Sicherheitshalber sollte man spätestens fünf Jahre nachdem Verlassen der Stelle ein Zeugnis einfordern. Angestellte einerTemporärfirma müssen das Zeugnis dort verlangen, nicht etwabeim Einsatzbetrieb.Stellt der Arbeitgeber innert nützlicher Frist kein Zeugnis aus,hilft oft eine freundliche Mahnung. Gibt sich der Chef überlastet,kann man ihm vorschlagen, selber einen Text aufzusetzen. Falls dasZeugnis weiterhin ausbleibt, empfiehlt es sich, schriftlich eine Fristvon etwa zwei Wochen anzusetzen. Nach Ablauf dieser Frist kann man anden Friedensrichter und nötigenfalls ans Arbeits-gericht gelangen.So kämpft man für besser Noten Nach Erhalt des Arbeitszeugnisses sollte man zuerst prüfen, ob es fehlerlos und vollständig ist (Personalien, Beginn und Ende des Anstellungsverhältnisses, Funktion, hauptsächliche Aufgaben, Beförderungen, Qualifikationen). Fehlen etwa Angaben zum Verhalten, wird ein künftiger Personalchef annehmen, dass der Bewerber in diesem Punkt Defizite hat. Fehler - auch Tippfehler - sind zu korrigieren. Ebenso wichtig wie einzelne Formulierungen ist der Gesamteindruck. Je individueller das Zeugnis geschrieben ist, desto mehr Wertschätzung drückt es aus. Ein karger Text mit vielen Standardsätzen wertet es ab. Wer unsicher ist, kann seinen Berufsverband oder eine Rechtsberatungsstelle um Rat fragen. Das Ausstellungsdatum sollte dem letzten Tag des Arbeitsverhältnisses entsprechen. Ein mitten im Monat datiertes Zeugnis deutet auf eine fristlose Entlassung hin. Ist das Zeugnis unvollständig oder ist man damit nicht einverstanden, kontaktiert man den Verfasser. Nicht hinter jeder unglücklichen Formulierung steckt böse Absicht. Lässt sich das Problem im Gespräch nicht lösen, empfiehlt es sich, dem Arbeitgeber schriftlich einen begründeten Änderungs-vorschlag zu machen. Nützt alles nichts, bleibt nur der Gang zum Friedensrichter und später allenfalls zum Arbeitsgericht. Zuständig sind die Behörden am Arbeitsort oder am Firmensitz. Das Verfahren ist kostenlos. Wenn man verliert, muss man aber die Anwaltskosten des Arbeitgebers tragen. Es genügt nicht, vor Gericht einfach ein besseres Zeugnis zu verlangen. Man sollte gleich den gewünschten Text vorlegen und diesen mit Beweisen untermauern (Zwischenzeugnisse, Lohnerhöhungen, Beförderungen, Qualifikationen, Zeugen). Falls die Aussichten auf ein besseres Zeugnis klein sind, kann man auch eine blosse Arbeitsbestätigung verlangen. Diese enthält keine Qualifikationen.

"Seine Leistungen waren zufriedenstellend" (Genuegend) "Er bemühte sich, die Arbeiten bestens zu erledigen" (Ungenuegend) "Er gab stets sein Bestes" (ungenuegend) "Der Austritt erfolgt in gegenseitigem Einverständnis" (ungenuegend)"Wir würden sie jederzeit wieder einstellen" (sehr gut)
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