Wie Kinder lernen, ihre Impulse zu kontrollieren (2024)

Mara ist fast drei Jahre alt und schon eine große Schwester. Ihr kleiner Bruder Emil robbt seit kurzem durch die Wohnung und hat entdeckt, dass Mara viele tolle Spielsachen besitzt. Seitdem hat Maras und Emils Mama keine ruhige Minute mehr. Ständig muss sie Emil vor der großen Schwester schützen, die ungehemmt und schnell zuhaut, wenn Emil an ihre Sachen geht. So auch heute. "Mara, wie oft soll ich es dir noch sagen? Du sollst mich rufen, wenn Emil zu deinen Sachen robbt. Ich komme dann und helfe dir, sie ihm wegzunehmen. Du sollst ihn nicht hauen! Hauen ist verboten!" Mara nickt verständig. Doch keine Minute später - die Mutter ist wieder in der Küche - heult Emil erneut auf. Mara hat ihm in die Hand gebissen, weil er ihr Kuscheltier nicht loslassen wollte.... Die Mutter ist verzweifelt. Was kann sie denn tun, damit Mara sich besser beherrschen lernt? Wie stärkt man die Impulskontrolle unserer Kinder?

Wie Kinder lernen, ihre Impulse zu kontrollieren (1)

Was ist Impulskontrolle?


Impulskontrolle bedeutet, eine affektiv gelenkte, spontane Aktion (den Impuls)kurz vor der Ausführung zu stoppen (Kontrolle)und erst einmal über deren Sinnhaftigkeit nachzudenken. Sie ist ein großer Meilenstein in der Entwicklung eines Kindes und wird erst spät mit ca. 5-7 Jahren vollständig entwickelt, da sie eng mit der Sprachentwicklung und dem Empathievermögenzusammenhängt. Frühstens im Alter von 2-3 Jahren können erste kleinere Erfolge verbucht werden, wenn die Eltern vorher schon gute Grundlagen gelegt haben. Erst nach und nach wird es unseren also Kindern möglich, sich selbst zu bremsen und große Emotionen nicht über motorische Prozesse abzuleiten.


Wozu brauchen Kinder Impulskontrolle?


Bei unseren Kleinkindernpassieren Denken und Handeln oft fast gleichzeitig. Da wird eben aus Wut der Freund angespuckt, aus Frust der Bausteinturm umgeworfen oder sich an einer viel befahrenen Straße von der Hand der Eltern losgerissen, weil auf der anderen Seite die Oma wartet. Es wird der Mutter spontan die Arme um den Hals geworfen und "Ich liebe dich,meine Mama!" gerufen. Impulsives Verhalten ist auch, wenn meine Tochter wie der Blitz aufspringt und "Pipi kommt!" rufend zum Badezimmer rennt, nur um dann ganz kurz vorher umzuschwenken und sich in aller Ruhe zu mir zu gesellen, um mir zu erzählen, dass es Himbeeren im Kindergarten gab. "Pipi kommt!" ist völlig vergessen...

Dass unsere Kinder eine innere Kontrollinstanz brauchen, versteht sich von selbst. Wer sich stoppen kann, bevor er jemanden anderes haut oder zuerst darüber nachdenkt, ob es günstig ist, an dieser Stelle die Straße zu überqueren, überlebt nicht nur länger, er eckt in unserer Gesellschaft auch weniger oft an. Nicht nur das. In den 60er Jahren wurde in den USA ein Experiment zur Selbstkontrolle von Vierjährigen durchgeführt. Versuchsleiter war der US-Psychologe Walter Mischel.Es wurde vor den Kindern ein Marshmallow auf den Tisch gelegt und ihnen gesagt, dass sie einen zweiten erhielten, wenn sie den ersten solange nicht aufessen würden, bis die Versuchsleiterin zurückkäme. Sie hatten aber die Wahl. Sie durften auch den ersten Marshmallow sofort essen, dann bekamen sie eben keinen zweiten.In den 80er Jahren suchte der Forscher die Kinder erneut auf und stellte fest: je länger die Kinder im ursprünglichen Experiment gewartet hatten, desto kompetenter wurden sie als Heranwachsende in schulischen und sozialen Bereichen beschrieben. Sie waren besser in der Lage mit Frustration und Stress umzugehen und Versuchungen zu widerstehen. Tendenziell zeigten sie sogar höhere schulische Leistungsfähigkeit - völlig unabhängig von ihrer Intelligenz. Die Sofortesser hingegen wurden von ihren Lehrern und Eltern als emotional instabiler, wechselhaft und weniger entschlossen beschrieben. Scheinbar ist die Fähigkeit zum Warten auf den Belohnungsaufschub nicht nur ein Indiz für Willensstärke, sondern auch eine Erfolgseigenschaft. Doch ist sie nur angeboren oder kann sie auch erworben werden?

Ist die Fähigkeit zur Selbstkontrolle angeboren oder kann sie auch erworben werden?


Dieser Frage ging die Kognitionsforscherin Celeste Kidd nach. Sie erweiterte 2012 das ursprüngliche Experiment um eine weitere Komponente. Den Kindern im Alter von 3 - 5Jahren wurden zunächst Buntstifte gegeben, um ein Bild malen zu können. Sie konnten diese gleich benutzen oder zwei Minuten warten, bis ein Erwachsener mit einer großen Auswahl neuer Stifte käme. Als nächstes wurden ihnen Aufkleber hingelegt. Auch hier konnten sie selbst entscheiden: Sofort benutzen oder auf den Erwachsenen mit einer größeren Auswahl schönerer Aufkleber warten. 



Das neue Element im Test war dieses: die Kinder waren in zwei Gruppen eingeteilt. In der ersten Gruppe kam der Erwachsene zuverlässig zurück und brachte das Versprochene. In der zweiten Gruppe kam er zwar auch zu der vereinbarten Zeit zurück, musste die Kinder jedoch enttäuschen mit der Aussage, die Stifte oder Aufkleber seien doch alle. Die Kinder mussten sich dann mit den Utensilien zufrieden geben, die sie zuvor bekommen hatten.

Im letzten Schritt wurde wiederum allen Kindern ein Marshmallow hingelegt. Sie hatten die Wahl, zu warten, bis der Erwachsene mit einem zweiten zurückkäme oder den ersten sofort zu essen. Das Ergebnis wird nicht überraschen. In der „Unzuverlässig“-Gruppe war die Süßigkeit bereits nach durchschnittlich drei Minuten verzehrt, nur eines der vierzehn Kinder hielt die vollen 15 Minuten durch. In der „Zuverlässig“-Gruppe dagegen lag die Wartezeit im Schnitt bei 12 Minuten. Insgesamt neun der vierzehn Kinderwarteten die gesamte Viertelstunde.Wenn man bedenkt, dass die durchschnittliche Wartezeit im Marshmallow-Test der 60er Jahre 6 Minuten war, sieht man, dass eine zuverlässige Umgebung die Bedürfnisaufschubfähigkeit der Kinder verdoppelte, eine unzuverlässige Umgebung jedoch halbierte!

„Auf Belohnung warten zu können spiegelt nicht nur die Fähigkeit eines Kindes zur Selbstkontrolle, es zeigt auch seinen Glauben an den praktischen Sinn des Wartens“, berichtet Celeste Kidd, Hauptautorin der Studie. „Das Aufschieben einer Belohnung ist nur dann eine vernünftige Entscheidung“, so die Kognitionsforscherin an der University of Rochester, „wenn das Kind glaubt, dass es nach akzeptabler Wartezeit tatsächlich ein zweites Marshmallow bekommt.“ (Celeste Kidd, Holly Palmeri, Richard N. Aslin. Rational snacking: Young children’s decision-making on the marshmallow task is moderated by beliefs about environmental reliability. Cognition, 2012).

Wie kann ich mein Kind dabei unterstützen, Selbstkontrolle zu erreichen?


Impulskontrolle entwickelt sich eigentlich im Laufe der Zeit von selbst. Bis zum dritten Lebensjahr entwickelt sich im Kind eineArt Kontrollinstanz.Der innere Gegenspieler (Antagonist)dämpft den Wunschantreiber (Agonist) und steuert so das Bedürfnis auf natürliche Weise. Voraussetzung für die Fähigkeit zum Bedürfnisaufschub ist jedoch das Zeitverständnis als kognitive Leistung und die Fähigkeit, die eigenen Intention und die des Gegenübers gleichzeitig zu betrachten (Empathie).Dann gelingt Impulskontrolle durch die willkürliche Aufmerksamkeitslenkung (das Kind denkt ganz gezielt an etwas anderes als den Marshmallow) und durch willkürliche Beeinflussung von Emotionssymptomen (z. B. durch verbale Selbstanweisungen "Ich lasse ihn liegen!"). Man kann seine Kinder aberdarin unterstützen, ihr ganzes Potential an Selbstkontrolle und Bedürfnisaufschub zu entfalten.

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Die Anfänge: Geduldsübungen


Alter: 1-2 Jahre


Möchte man seinen Kleinkindern beibringen, eine kurze Zeit abzuwarten, bietet es sich an, mit ihnen kurze Geduldübungen durchzuführen. Möchte das Kind beispielsweise gern ein Brötchen haben, nimmt man das Brötchen und setzt dazu an, es ihm zu geben. Kurz vorher hält man inne, so als ob einem etwas Wichtiges eingefallen sei. Man sagt: "Warte kurz!", dreht sich eine Sekunde um, tut etwas (irgendwas), dreht sich dann wieder zu dem Kind und gibt ihm das Brötchen mit den anerkennenden Worten: "Du hast gewartet!" Durch die schnelle Belohnung seiner Geduld merkt das Kind, dass Warten nicht so schlimm ist und dass es danach trotzdem bekommt, was es möchte (Karp, 2010, 168ff).

Man dehnt dann die Wartezeit immer weiter aus. Zuerst eine Sekunde, dann fünf, zehn, dreißig, sechzig Sekunden. So stärkt man die Selbstkontrolle des Kindes in winzigen, gut aushaltbaren Schritten. Anwenden kann man diese Geduldübungen in jeder Situation über den Tag verteilt. Es ist nur wichtig, dass das Kind etwas bestimmtes möchte, auf das es dann warten soll. Hat es zum Beispiel keine Lust zum Windelwechsel, wäre es absurd, hier eine Geduldübung durchzuführen (vgl ebd., 2010, 168ff).


Es ist auch wichtig, dass dem Elternteil "wirklich" (also gespielt wirklich)etwas dazwischen kommt, bevor es den heißersehnten Keks herausrückt. Es ist also kontrakproduktiv, "Warte!" zu sagen und dann nichts zu tun, sondern mit erhobenen Zeigefinger vor dem Kind zu stehen, bevor man nach fünf Sekunden den Wunsch erfüllt. Eine solche Vorgehensweise ist eher frustrierend, da das Kind schnell sieht, dass das Objekt der Begierde absichtlich vorenthalten wird. Es wird dann wütend, weil hierdas Machtverhältnis zwischen Erwachsenem und Kind ausgenutzt wird. Das wäre so, als würde der Arzt, bei dem man wegen akuten Rückenschmerzen sitzt, mit dem Schmerzmittel vor unserer Nase wedeln und sagen: "Ich möchte, dass sie die Schmerzen noch kurz aushalten. Warum? Weil ich es kann." Sagt der Arzt aber: "Ich möchte, dass sie die Schmerzen noch kurz aushalten. Ich muss kurz im Computer nachgucken, ob diese Dosis wirklich für sie geeignet ist", wartet man gern noch ein paar Sekunden. Es ist realistisch, bei diesen Übungen maximaleine Minute Wartezeit von einem Kleinkind zu fordern (vgl ebd., 2010, 168ff).

Alter: 2-3 Jahre


Auchmit älteren Kleinkindern können diese Übungen weiterhin durchgeführt werden. Auch hier wird die Wartezeit Schritt für Schritt ausgedehnt. Man kann nun eine zeitliche Begrenzung durch eine Eieruhr einführen: "Wenn die Eieruhr klingelt, kommt Mama schnell zurück. Dann lese ich mit dir das Buch. Jetzt muss ich schnell noch Papa was sagen, bevor er zur Arbeit losgeht" (vgl. Karp., 2010, 171f). Ich persönlich schwöre übrigens auf den Time Timer, da dieser am Ende der Zeit nicht nur klingelt, sondern den Ablauf der Zeit durch das kontinuierliche Dünnerwerden der roten Zeitscheibe für das Kind visuell verständlich macht. Man kann auf ihm aber keine Sekunden einstellen, nur Minuten.


Es reicht für den Anfang wirklichein einfacher Küchenwecker oder eine Sanduhr. Ich nutze den Time Timer aber auch in vielen anderen Situationen (z. B. um meinen Kindern die morgendliche Spielzeit eindeutig zu begrenzen - als Signal, wann wir uns für den Kindergarten anziehen müssen), daher hat sich für mich seine Anschaffung eindeutig gelohnt.Zunächst stellt man den Wecker nur auf 20 Sekunden ein. Es ist wichtig, wirklich sofort zurückzukommen, wenn er klingelt, nur dann kann das Kind lernen, sich auf das Versprechen der Erwachsenen zu verlassen. Nach dem Wiederkommen gibt man dem Kind, was es möchte und spiegelt in anerkennendem Ton: "Du hast abgewartet!" Man kann die Wartezeit dann allmählich auf zwei bis drei Minuten erhöhen. Es ist schön, wenn man das Kind ab und zu überrascht, indem man den Wecker nur auf 20 Sekunden einstellt - es wird dann denken, die Minute ist schnell vergangen- oder auch nach einer besonders langen Wartezeit ihm zwei Objekte der Begierde zu geben (zwei Bücher lesen z. B.). Das motiviert das Kind undverknüpft das Durchstehen der Wartezeit mit einem positiven Gefühl (vgl. ebd., 2010, 171f).

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Der nächste Schritt: Umlenken des Affektes

Alter: 2-4 Jahre

Um auch die Selbstkontrolle in Bezug auf affektive Handlungen wie Hauen oder Spucken zu üben, kann man mit dem Kind ab demAlter von 2 - 2 1/2JahrenMethoden zur motorischen Entlastung des Affektes einüben. Das Kind lernt dabei, den Impuls umzulenken auf eine gesellschaftlich akzeptable Alternative. Anstatt ihren Bruder Emil zu hauen, könnte Mara beispielsweise die "Stopp-Hand" ausführen und gleichzeitg laut "Stopp! Lass das sein!"rufen. Maras Mama müsste dann sehr schnell kommen, um Maras angemessenes Verhalten wahrzunehmen und zu verhindern, dass sie eben doch noch haut. Denn die Umlenkung eines Impulses wirkt erstmal nur kurzfristig für wenige Sekunden. Die positive Verstärkung der gewaltfreien Lösung wirkt nachhaltiger und wird Mara helfen, sich öfter "unter Kontrolle" zu halten.

Es ist übrigens zuviel von Mara verlangt, die Situation ohne motorische Entlastung durchzustehen, also die Mutter nur zu rufen. Es dauert lange, bis Emotion nicht mehr in Motorik umgesetzt werden muss. Bei manchem Erwachsenen ist das sogar noch bis ins hohe Alter zu erkennen - wenn jemand zum Beispiel mit der Faust auf den Tisch haut.

Ich habe die Stopp-Hand mit meinen Töchtern eingeübt mit dem Buch "Jakob ruft Stopp! Lass mich in Ruhe!" Es klappt bei uns nicht immer. Manchmal sind sie einfach noch zu aufgeregt und hauen oder spucken dann im Affekt doch. Aber da die Erzieherinnen im Kindergarten eingeweiht sind und an einem Strang mit uns ziehen, gibt es immer mal Situationen, in denen es eben doch klappt. Dann bekommen meine Töchter für ihr angemessenes Verhalten eine positive Rückmeldung. Ich schimpfe nicht, wenn sie im Affekt hauen, weiß ich doch, dass sie in dem Moment nicht anders handeln können.

Beim Losreißen von der Hand im Straßenverkehr ist übrigens keine bessere Lösung in Sicht, als als Erwachsener schnell zu sein. Reißt sich das Kind los, muss man hinterher und das Kind aufhalten, bevor es auf der Straße ist. Es gibt einfach keine ungefährliche motorische Alternative, auf die sich das Kleinkind umlenken kann.Natürlich kann man auf Leinen-Rucksäcke oder In-den-Buggy-setzen zurückgreifen und sollte es auch, wenn man weiß, dass man nicht schnell genug hinterherkommt. Hier geht die Sicherheit vor.

Die hohe Kunst: Impulskontrolle durch verbale Problemlösestrategien


Kinder entwickeln Impulskontrolle unter anderem in einem Prozess, der verbale Mediation beinhaltet (Vygotsky, 1962) .Verbale Mediation meint die Fähigkeit, laut zu denken, um das eigene Verhalten zu steuern.

Alter: 2-3 Jahre


Kinder beginnen zu sprechen und beschreiben ihre Tätigkeiten zunehmend in Selbstgesprächen. Meine Töchter sagen zum Beispiel beim Spielen mit ihren Puppen zu niemandem im Besonderen: "Ich lege die Puppe hier hin. Braucht eine neue Windel. Warte, ich hole eine neue Windel. Die alte Windel muss ab. Schwer. Schaff nicht!" Problemlösen verläuft in diesem Alter gewöhnlich noch nonverbal auf der motorischen Ebene. Die Kinder nehmen sich einfach, was sie brauchen, ohne danach zu fragen oder Rücksicht auf andere zu nehmen (vgl. Luria, 1961).

Alter: 3-4 Jahre


Unsere Kinder beginnen, ihr eigenes Verhalten durch Selbstanweisungen zu regulieren. Sagen die Eltern eines Vierjährigen zum Beispiel, dass er zum Abendbrot kommen soll, sagt er zunächst vielleicht zu sich selbst: "Wasch die Hände! Mach das Wasser aus! Hände abtrocknen!" und antwortet dann möglicherweise seinen Eltern: "Ich habe die Hände gewaschen, wir können jetzt essen." Beim Problemlösen beginnen die Kinder nun, Bitten oder Forderungen zu formulieren: "Lass mich mal probieren." "Kann ich damit spielen?". Sie erkennen immer besser, was angemessenes Verhalten in unterschiedlichen Situationen ist und bemühen sich, es einzuhalten (vgl. ebd., 1961). Das klappt nicht immer.

Alter: 5-7 Jahre


Ab diesem Alter beginnen Kinder, Informationen kognitiv zu verarbeiten, anstatt assoziativ auf Ereignisse zu reagieren. Erst nach dieser Umstrukturierung im Gehirn können sie impulsive Reaktionen durch gedankliche innere Prozesse zurückhalten! Das Problemlösen ändert sich vom lauten zum inneren Sprechen. Ein Sechsjähriger schafft es demnach bereits, sich vorher zu überlegen, was passiert, wenn er dem anderen Kind etwas wegnimmt. Seine Gedanken könnten so klingen: "Wenn ich es einfach wegnehme, wird er bestimmt sauer auch mich. Ich frage ihn besser vorher, ob er es mir borgt." Unter Stressbedigungen kann das laute, problemlösende Sprechen in diesem Alter jedoch wieder hervortreten, um eigenes Verhalten zu steuern (vgl. ebd., 1961).

Alter: 8-11 Jahre


Ab diesem Alter läuft die sprachliche Mediation nahezu vollständig innerlich ab. Das Problemlösen wird wechselseitig und zielt auf die Zufriedenheit beider Beteiligten. Es ist aber noch so, dass einer von beiden dominiert. Häufigste angewandte problemlösende Strategien sind das Überreden ("Los komm, lass uns das machen. Das wird bestimmt aufregend"), Verhandeln ("Wenn ich mit deinem Skateboard fahren darf, kannst du auf meinem Fahrrad fahren") und das Abwechseln ("Erst du, dann ich!") (vgl. ebd., 1961).

Alter: 12 Jahre und älter


In der Pubertät wird das Problemlösen kooperativer und orientiert sich an gemeinsamen Bedürfnissen und dem Interesse an stabilen persönlichen Beziehungen (vgl. ebd., 1961).

Folgt man nun diesem Entwicklungsmodell, wird schnell klar, dass unsere Kinder erst ab der 1. Klasse der Schule wirklich in der Lage sind, ihr impulsives Verhalten nahezu vollständig zu kontrollieren. Dieser Entwicklungsschritt passiert im Allgemeinen von selbst. Um Probleme mit anderenjedoch in gesellschaftlich akzeptabler Weise zu lösen, können Eltern ihren Kindern bei dem Erlernen von Problemlösestrategien ein wenig unter die Arrme greifen. Möchte das Kind zum Beispiel etwas haben, das ihm nicht gehört, könnte man es nach folgenden Schritten anleiten, zu überlegen, welche Lösung für sein Problem am besten funktionieren könnte (Spivack, Shure, 1982; Petermann, Petermann, 1994).

  • Frage dich: Was genau ist das Problem?
  • Überlege: Welche Lösungen gibt es?
  • Frage dich bei jeder Lösung: Ist sie ungefährlich? Wie fühlen sich die anderen? Ist sie fair? Wird sie funktionieren?
  • Entscheide dich für eine Lösung und probiere sie aus.
  • Funktioniert die Lösung? Wenn nicht, was kannst du jetzt tun?


Ein Beispiel:

  • "Ich habe meinen Kleber vergssen, brauche ihn aber für eine Aufgabe im Unterricht."
  • "1. Ich könnte meine Banknachbarin fragen, die hat Kleber dabei. 2. Ich könnte mir den Kleber von meiner Banknachbarin nehmen ohne zu fragen. 3. Ich könnte mich umdrehen und zu meinem Freund rufen, ob er mir seinen Kleber borgt."
  • Lösung 1: "Sie ist nicht gefährlich. Die Nachbarin fühlt sich gut. Ja, sie ist für alle fair, weil ich höflich gefragt habe. Sie wird vielleicht funktionieren, sie könnte ja oder auch nein sagen." Lösung 2: "Sie ist nicht gefährlich. Die Nachbarin fühlt sich vermutlich schlecht, weil ich ihr etwas weggenommen habe. Nein, das ist nicht fair ihr gegenüber. Ich hätte zwar den Kleber, aber auch einen Streit am Hals." Lösung 3: "Sie ist nicht gefährlich. Wenn ich in die Klasse rufe, fühlen sich die anderen gestört und die Lehrerin schimpft mit mir. Sie ist nicht fair den anderen gegenüber. Ja, sie könnte funktionieren. Mein Freund gibt mir sicher den Kleber, aber ich habe Ärger mit der Lehrerin."
  • "Ich denke, ich frage erstmal meine Nachbarin, vielleicht sagt sie ja."
  • "Sie hat funktioniert. Wenn sie "Nein" gesagt hätte, hätte ich die Lösung mit meinen Freund probiert."

Zusammenfassung


Impulsives Verhalten ist im Kleinkindalter und darüber hinaus völlig normal und reguliert sich im Allgemeinen mit den Jahren selbst. Es ist möglich, unseren Kindern durch Geduldübungen und durch Umlenkung der Motorik zu helfen, ihre Impulse für ein paar wenige Sekunden zu kontrollieren. Dieses "Training" wirkt sich insgesamt positiv auf die Entwicklung der Kinder aus. Es ist sinnlos, ein Kind für sein impulsives Verhalten zu schimpfen oder es gar zu bestrafen - es kann in diesem Moment nicht anders reagieren. Durch Schimpfen oder Strafen wird es nicht dazu angeregt, dieses Verhalten langfristig zu ändern.

© Snowqueen

Wie Kinder lernen, ihre Impulse zu kontrollieren (4)

Wie Kinder lernen, ihre Impulse zu kontrollieren (5)

Quellen


Karp, H. (2010) Das glücklichste Kleinkind der Welt. München: Goldmann

Cleste Kidd, Holly Palmeri, Richard N. Aslin. (2012) Rational snacking: Young children’s decision-making on the marshmallow task is moderated by beliefs about environmental reliability. in: Cognition Luria, A. (1961). The role of speech in the regulation of normal and abnormal behaviors. New York


Liberight Petermann, F., Petermann, U. (1994). Training mit sozial unsicheren Kindern. Weinheim: Beltz Spivack,

G, Shure, M.B. (1974). Social adjustment of young children, a cognitive approach to solving real-life problems. San Francisco:

Jossey-Bass Vygotsky, L. S. (1962). Thought and Language. New York: Wiley

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