Bonn und Berlin: Die geteilte Hauptstadt | MDR.DE (2024)

Der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker sagte am 3. Juli 1990 in einer Rede, dass Berlin "der Platz für die politisch verantwortliche Führung Deutschlands" sei. Der SPD-Politiker Horst Ehmke konterte dies mit der Frage, wann Deutschland denn je von Berlin aus politisch verantwortlich regiert worden sei? Diese konträren Äußerungen verdeutlichen die Debatte, die sich in Teilen bis heute zieht. Für die einen war Berlin die "natürliche" deutsche Hauptstadt und sollte nun die eines neuen und wirklich demokratischen Deutschlands in Europa werden. Für die anderen aber verkörperte dies nun schon Bonn – bescheiden zurückhaltend und verlässlich; während Berlin für sie noch das alte, militaristische Preußen symbolisierte, den Machtwahn der Nazis, brutalen Zentralismus und den Obrigkeitsstaat.

Für die Ostdeutschen war Bonn dagegen sehr weit weg, und Berlin wurde zum Symbol dafür, dass der Westen es wirklich ernst mit dem gemeinsamen Neuanfang meinte. Bonn war ohnehin nur "zum vorläufigen Sitz der Bundesorgane" durch seinen "provisorischen Charakter" bestimmt - so beschlossen es 1949 der Parlamentarische Rat und der Bundestag.

40 Jahre später stand Bonn nicht mehr für ein Provisorium, sondern viel mehr für ein Wirtschaftswunder, einen funktionierenden Sozialstaat und für ein Erfolgsmodell. Im In- und Ausland wurde die Stadt damit identifiziert und war nach dem Mauerbau 1961 inzwischen auch zur Hauptstadt ausgebaut worden. Auch deshalb mischten sich in die Debatte um die nationale Symbolik durchaus provinziellere, aber bis heute wirksame finanzielle Interessen. Skeptiker glaubten: Ein vorschneller Umzug nach Berlin hätte in Bonn für Arbeitslosigkeit und einen krassen Abstieg gesorgt. Schließlich war der Regierungsapparat der größte Arbeitgeber der Stadt.

Die Hauptstadtfrage und auch die Frage des Regierungssitzes sei eine Entscheidung "über die Zukunft Deutschlands". So hätte es nicht um einen Wettkampf zwischen zwei Städten gegangen, sondern vor allem um Arbeitsplätze, Umzugs- oder Reisekosten, Regional- oder Strukturpolitik. In Artikel 2 des Einigungsvertrags hieß es erstmal nur: "Hauptstadt Deutschlands ist Berlin. Die Frage des Sitzes von Parlament und Regierung wird nach der Herstellung der Einheit Deutschlands entschieden." Im Juni 1991 stimmte der Bundestag ab. Kanzler Helmut Kohl (CDU) legte sich übrigens auf Berlin als Sitz von Parlament und Regierung fest. Von fünf Anträgen schafften es zwei in die letzte Runde. Nach einer fast zwölfstündien Debatte und mehr als 105 Reden stimmten dann von 660 Abgeordneten namentlich 338 für den Berlin-Antrag und nur 320 für den Bonn-Antrag, bei einer Enthaltung und einer ungültigen Stimme. Das Ergebnis war recht knapp, überraschend, aber klar. Berlin ging als Sieger hervor.

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